Fachtagung für Betroffene, Angehörige, Interessierte und Fachleute am 13.03.2019 im Walder Stadtsaal
Das Bild von Psychiatrie in der Öffentlichkeit ist immer (noch) auch mit der Anwendung von Zwang verbunden. Geschlossene Unterbringung, Fixierungen oder Zwangsmedikation – solche Begriffe lösen Ängste aus und machen es Menschen schwer, sich auf psychiatrische Hilfen einzulassen. Menschen, die solche Maßnahmen am eigenen Leib erlebt haben, fühlen sich ihrer Würde beraubt, erleben Scham und Stigmatisierung und sind manchmal anhaltend psychisch traumatisiert.
Auf der anderen Seite scheint es immer wieder Situationen zu geben, in denen Zwang unvermeidlich ist – wenn Menschen sich selbst oder andere gefährden oder in psychiatrische Krankheitszustände geraten, die selber so schlimm sind, dass die Würde bedroht ist.
Ein Fachtag in Solingen – veranstaltet von der Kreisgruppe Solingen des Paritätischen, der LVR-Klinik Langenfeld, dem Psychosozialen Trägerverein Solingen e.V., der Rheinischen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V. und der Stadt Solingen – hat sich am 13.03.2019 dieses schweren Themas angenommen.
Die Grundhaltung der Veranstalter: Verbesserungen sind hier nur zu erzielen, wenn das Thema zu einem öffentlichen Thema wird. Und: da es hier um menschliche Grenzsituationen geht, kommt man nicht weiter, wenn man nur theoretisch darüber spricht, sondern wenn sich Menschen, die mit dem Thema aus den unterschiedlichen Perspektiven – als von einer psychischen Erkrankung betroffener Mensch, als Angehöriger, als professionell Handelnder in der psychiatrischen Versorgung – zu tun haben, möglichst ohne gegenseitige Schuldzuweisungen über ihre Erfahrungen austauschen und gemeinsam nach Auswegen suchen. Das dies am Ende hervorragend gelang, war nicht zuletzt der Leistung des Moderators Ralph Erdenberger zu verdanken.
Die Veranstalter haben mit dem Veranstaltungsthema offensichtlich einen „Nerv getroffen“, denn die Veranstaltung war mit ca. 130 Teilnehmern sehr gut besucht.
In einem Grußwort machte der Beigeordnete der Stadt, Jan Welzel, auf die verfassungsrechtlichen Bezüge des Themas aufmerksam und sagte die Unterstützung der Stadt Solingen für ein Solinger Projekt zur Vermeidung von Zwangsmaßnahmen zu. Dies wurde von Polizeiinspektionsleiter Robert Hall in einem spontanen Beitrag aufgegriffen, der für eine Vernetzung aller Beteiligten bei Zwangseinweisungen – Ordnungskräfte, Feuerwehr und psychiatrische Dienste – warb.
Nach dem Grußwort stand zunächst die subjektive Erfahrung mit dem Thema Zwang im Vordergrund. Ein junger Mann schilderte berührend, wie er in einer psychotischen Phase zwangseingewiesen wurde, eine Angehörige, mittlerweile 71 Jahre alt, machte in ergreifender Weise klar, wie sich die Erfahrung der Zwangseinweisungen ihres Vaters in ihrer Jugend auf ihr ganzes Leben und das ihrer Familie ausgewirkt hat, eine Mitarbeiterin des psychiatrischen Krisendienstes des Psychosozialen Trägervereins Solingen e.V. berichtete von den schweren Abwägungsprozessen und auch der Ohnmacht der Helfer, wenn sich eine psychische Krise schleichend verschlechtert und der Betroffene keine Hilfe annehmen möchte.
In den nachfolgenden Fachvorträgen mit anschließender Diskussion wurden ethische Grundlagen und Probleme der Anwendung von Zwang, aktuelle Fachleitlinien zur Zwangsvermeidung und als Praxisvorbild das Beispiel der „Offenen Psychiatrie“ im St.-Marien Hospital Eickel in Herne vorgestellt, wo psychiatrische Akutbehandlung seit 40 Jahren unter Verzicht auf geschlossene Stationen praktiziert wird.
Dr. Thomas Hummelsheim vom Psychosozialen Trägerverein Solingen e.V. und Initiator der Veranstaltung: „Ich war begeistert von der Offenheit und der positiven Resonanz der Teilnehmer, die zeigt, wie wichtig das Thema für Solingen ist. Ich bin optimistisch, dass von der Veranstaltung ein wichtiger Impuls für die Verbesserung der Versorgung von Menschen in seelischen Krisen in Solingen ausgeht.“